Kubaner leben in einer anderen Welt als wir. Der Durchschnittslohn liegt bei umgerechnet ca. 20$. Ein direkter Vergleich ist schwierig, denn neben dem Gehalt erhalten die Bürger Lebensmittel-Gutscheine und kostenfreie Gesundheitsversorgung. Die meisten Menschen leben in Häusern, die ihnen gehören. Mieter werden nach einigen Jahren zu Besitzern der von ihnen Bewohnten Häuser. Wie genau das funktioniert, kann ich allerdings nicht sagen.
Die Heftigkeit mit der hier zwei Welten aufeinanderprallen, wenn Gringos auf Einheimische treffen, ist schwer vorzustellen. Die Einen rauchen Zigarren im Wert eines Monatsgehalts der Anderen. Dass die Kubaner also versuchen, auch irgendwie von diesen wandelnden Dollarscheinen zu profitieren, liegt nahe und ist nach westlicher Moralvorstellung nicht verwerflich. Und zumindest in Havanna haben wir uns ziemlich schnell genau so gefühlt.
Der Umgang mit Touristen variiert stark im Land. In Santiage im Süden der Insel, wo wir unsere Reise begonnen haben, gab es einige eifrige Taxifahrer und Touristen-Vermittler für Restaurants und Übernachtungsmöglichkeiten. Wir haben uns aber auf Augenhöhe mit Kubanern auf der Straße und in Geschäften unterhalten. Das war angenehm, weil wir Geschichten teilen konnten und die Menschen unsere Fragen bereitwillig beantworteten.
In den touristischen Orten machten wir jedoch eine völlig andere Erfahrung. Die Menschen interessierten sich nicht mehr für uns, sondern waren nur noch drauf aus, Geschäfte mit uns zu machen. Wie gesagt - bei dem krassen Missverhältnis von Besitz zwischen uns und den Einheimischen ist das überhaupt nicht verwunderlich. Trotzdem war es eine unschöne Erfahrung, wenn jeder einen mit derselben Absicht anspricht.
Je näher Menschen an der CUC-Quelle (1CUC = 1$, fest) sind, desto höher ist ihr Einkommen. Touristen geben gerne Geld aus und mit Trinkgeldern kommen so plötzlich selbst die Fahrer eines Bicitaxis (Fahrradtaxi) auf wesentlich höhere Einkommen als Ärzte oder Anwälte.
Die Touristen verändern das Land. Sie sind das Leck in dem geschlossenen System, in dem vorher alle Menschen ein ähnliches Leben geführt haben. Das Leck, durch das die Dollars kommen. Überall, wo sich die Touristen bewegen, wird das sozialistische System unterwandert. Das sprengt das System, das kippt die Verhältnisse um. So entstand eine neue Dollar-Oberschicht, die entweder durch Touristen oder Verwandte in den großen kubanischen Exilgemeinden in Miami oder Tampas zu Wohlstand gekommen sind.
Das die Staatsideologie so zerfressen wird ist sicherlich bitter für die politische Führung. Und doch ermöglicht man Tourismus in Kuba und vollzieht im Jahr 2016 sogar die Öffnung für den Erzfeind - die USA. Das ganze hat meiner Meinung nach einen einzigen Grund: Devisen. Denn alle, bei denen ein paar Dollar hängen bleiben, müssen immense Gebühren an den Staat zahlen. Ein paar Beispiele:
- Kosten für eine Taxi-Lizenz am Flughafen: 600 CUC monatlich
- Lohn, den die Hotelkette Melia an einen Mitarbeiter zahlt: ca. 1000 CUC. 980 davon werden vom Staat einbehalten.
- Progressive Besteuerung der Betreiber von Privatunterkünften (casas particulares), sodass diese maximal 1000 CUC jährlich verdienen können.
Währungssystem
Ein geniales Instrument, das die Regierung geschaffen hat, ist auch das Währungssystem. Es existieren zwei Währungen in Kuba: Die Nationalwährung Peso (MN) und die Ausländerwährung Peso convertible (CUC). Dieser ist eins zu eins an den Dollar gekoppelt. 1CUC = 25MN, auch dieses Verhältnis ist fest. Einheimische kommen mit dem CUC nicht in Kontakt, wenn sie nicht im Tourismusbereich arbeiten. Touristen kommen mit MN nicht in Kontakt, weil Bankautomaten CUC ausspucken und man nur selten mal MN als Wechselgeld erhält.
Durch das System ist sichergestellt, dass das Leben für Einheimische bezahlbar bleibt, weil man in den Einheimischen-Läden mit CUC nichts beschicken kann. Auf der anderen Seite sorgt man so aber auch dafür, dass Touristen viel mehr Geld im Land lassen, weil Waren, die in CUC bepreist werden, auf annähernd westlichem Preisniveau liegen. Die Preissetzung ist wirklich gut: Die Preise sind genau so hoch, dass man immer das Gefühl hat, es sei günstig. Trotzdem zahlt man noch immer 25 Mal so viel wie Einheimische, wenn man in Museen oder ins Theater möchte.
Für Ausländer hat das System den Vorteil, dass man nicht groß umdenken muss, sondern Preise in einer gewohnten Währung zahlt und somit immer einschätzen kann, wie gerechtfertigt ein Preis ist. Außerdem können so Ausländern Güter angeboten werden, die sich Einheimische nicht leisten sollen.
Warum existiert Tourismus in Kuba?
Nochmal die Antwort: Devisen. Man hat mit dem Doppelwährungssystem eine geniale Möglichkeit gefunden, die heimische Wirtschaft vor der Überflutung durch Dollar zu schützen. Und nimmt trotzdem jede Menge Dollar ein. Das ganze geht sogar noch weiter: Viele Touristen kommen als Pauschalreisende nach Kuba, werden vom Flughafen abgeholt und direkt in abgeriegelte Bereiche (bekannt: Varadero) gebracht. Dort verbringen sie 14 Tage im Fünf-Sterte-Hotel einer internationalen Kette und lassen vielleicht 1500$ pro Nase dort. Die Einheimischen bekommen davon nichts mit und alle sind glücklich.
Die Devisen braucht Kuba, um sein katastrophales Außenhandelsdefizit auszugleichen. Selbst Produkte, die man problemlos im Land anbauen könnte, werden importiert. So zum Beispiel Grundnahrungsmittel wie Reis und Hühnchen. Zugespitzt hat es ein Arbeiter im Hafen von Santiago ausgedrückt, den wir gefragt haben, womit die Schiffe beladen sind: Vienen llenos y salen vacios (Sie kommen voll beladen und fahren leer wieder ab).
Mit den wachsenden Schulden wächst der Druck. Das Land hat nach dem Zusammenbruch der UdSSR 25 Jahre ohne starke Partner (abgesehen von Venezuela) durchgehalten. Doch jetzt wird es anscheinend so eng, dass die Annäherung an die USA unvermeidlich ist. Dafür setzt die Führungsriege sogar den sozialen Frieden aufs Spiel - einen Grundwert der sozialistischen Gesellschaft.